Viertes Kapitel.
Pläne.

[212] In demselben verräucherten Zimmer, wo unter allgemeiner Lust die Spinte nach altem Brauch erstochen worden war, an dem nämlichen Tische, wo Haideröschen ihre dankbaren Zuhörer mit dem Zauber ihrer Mährchen und Waldlieder entzückt hatte, saßen Ehrhold, Sloboda, Heinrich und Clemens in berathendem Gespräch. Der junge Bursch, den die überkecke That des Grafen erst völlig betäubt hatte, überließ sich jetzt wieder ganz seiner natürlichen Lebhaftigkeit und seinem heftigen sinnlichen Temperamente, das nur angewohnte Scheu vor der Gewalt eines gebietenden Herrn eine Zeitlang hatte niedrücken können.[213]

»Gott im Himmel,« rief er aus, »warum konnte ich ruhig zusehen und das Entsetzliche geschehen lassen! Röschen wird mich verachten und dem Feiglinge für immer den Rücken kehren! Verflucht sei die Stunde, wo der Graf sie zum ersten Male erblickte!«

»Laß das gut sein,« bemerkte der Maulwurffänger. »Geschehene Dinge sind nicht zu ändern. Das ist zwar eine sehr abgegriffene, aber doch immer eine wahre Lebensregel. Was sollte denn außerdem noch geschehen? Es ließ sich bei der Affaire schlechterdings nichts thun, als daß Ihr etwa den Herrn Grafen todtschlugt. Das wäre aber meiner schlichten Meinung nach eine eben so respectwidrige, als verbrecherische Handlung gewesen. Weit besser ist's, daß sie unterlassen wurde. Unterlassungssünden solcher Art tragen ihrer Zeit die süßesten Früchte. Haideröschen, wie Ihr das nette Ding nennt, hat einen Ritt durch die Hügel gemacht, und dieser wird ihr ohne Zweifel gut bekommen, denn es war heut eine prächtige Luft!«

»Der Spott steht Euch übel zu Gesichte, Landsmann,« versetzte Clemens verdrüßlich.

»Dein Landsmann kann und will ich nicht sein, wenn Du nichts dawider hast,« erwiederte[214] Heinrich, listig mit den Augen blinzelnd. »Hat uns auch dieselbe Erde geboren, so gehören wir doch zwei Volksstämmen an, die in früherer Zeit nicht brüderlich einträchtig zusammen lebten.«

»Wie Ihr wollt,« sagte der junge Wende. »Die Hauptsache bleibt immer, daß wir jetzt redlich und wacker zusammen halten, um der verruchten Grafenbrut den Hals zu brechen. Allein dürfen wir armen geknebelten Teufel dem Gespinnst doch nicht an's Leben, ohne gehangen, gespießt oder gar verbrannt zu werden.«

»Der größte deutsche Weltweise, Eulenspiegel, der recht eigentlich der einzige wahre Philosoph unseres Volkes ist,« nahm Heinrich in unerschütterlicher Ruhe abermals das Wort, »sagte das große Wort: Eile mit Weile! Das ist absonderlich in dieser Angelegenheit mein Rath. Versprichst Du mir, fein still zu sitzen und ganz unthätig zuzusehen, bis ich sage: jetzt mach' Dich auf die Socken und handle; so mische ich mich auf meine Weise in die Geschichte, und ein verwirrter Knäuel Bindfaden, den ich in die Hände kriege, wird gewiß entwirrt, oder ich will kein Maulwurffänger sein! 's Ist mein Geschäft, die Pfiffigen hinter's Licht zu führen, und 'was Lustigeres[215] wüßte ich mir gar nicht auszudenken, als wenn mir's gelänge, dem hochmüthigen Blauhut seinen melirten Filz bis über die Nasenlöcher in den Kopf zu schlagen!«

»Ihr spracht vorhin von dem Fräulein auf der alten Burg. Was habt Ihr mit dem Engelsbilde zu schaffen?«

»Mißlingt mein Plan, so sollst Du Dir mit dem Prachtmädchen etwas zu schaffen machen, damit es dem Herrn Junker den Kopf zurecht setzt. Überhaupt gelüstet mich's schon lange, etwas genauer und tiefer hinter die alten Burgmauern und die vermoderten Tapeten zu gucken, denn mir schwant, man hält da alte Sünden fein säuberlich hinter Schloß und Riegel. Diesen möchte ich auf die Spur kommen, nicht aus Neugier, sondern weil ich davon für Euch Gutes hoffe.«

»Wie meinst Du das, Bruderherz?« fragte Sloboda.

»Eins nach dem Andern, Freund! Ich gehöre zu den langweiligen Leuten, die nie zwei Dinge unter einander mengen, aber, wenn's sein muß, hundert auf einmal anfangen, um sie gelegentlich alle zu Ende zu führen. Kommt Zeit,[216] kommt Rath! heißt einer meiner Glaubenssätze. Die Zeit, rechne ich, wo Fräulein Herta unsere Verbündete werden soll, wird nicht mehr gar fern sein, heut jedoch liegt sie noch ganz außerhalb der Schlingen, die wir auszuwerfen haben, um den Feind zu fangen.«

Clemens sah finster drein und schien kein rechtes Vertrauen zu dem Deutschen fassen zu können, der immer von Vorschlägen und Plänen sprach, und wenn man sie zu hören begehrte, stets wieder ausweichend antwortete. Das Phlegma Heinrich's ärgerte ihn und brachte sein sinnlich regeres Temperament in immer heftigere Wallung. Nur Sloboda's Blicke vermochten ihn, den theilnehmenden Gast mit gebührender Rücksicht und Höflichkeit zu behandeln.

Der Maulwurffänger schlug sich Feuer für seine Tabakspfeife an, die ihm schon auf dem Wege zehnmal ausgegangen war und auch jetzt nicht in Brand bleiben wollte. Während er wiederholt Stahl und Stein zusammenschlug, oder, wie die Lausitzer sagen, »pinkte,« sprach er:

»Ihr habt doch gewiß vielmals von der Bande des braunen Lips gehört, wißt Ihr vielleicht, wo sie jetzt ihr Hauptquartier hat?«[217]

»Lips wird sich hüten, seine Schlupfwinkel zu verrathen,« sagte Ehrhold.

»Ach was!« versetzte Heinrich, dicke Tabakswolken von sich blasend, »Räuber haben so gut ihre Launen, wie sogenannte ehrliche Leute, und nun erst ein Mann wie Lips! Es heißt, er verrathe immer eine Abtheilung seiner Leute selbst, um, während man diesen nachläuft, mit seinen übrigen Gesellen desto bequemer plündern und rauben zu können. Der Teufelskerl kommt mir in den Sinn, weil wir ihn just recht bequem brauchen könnten.«

»Mit Spitzbubengesindel will ich nichts zu thun haben,« sagte Clemens stolz.

»Dann thust Du am klügsten, Du verkriechst Dich in's erste beste Mauseloch und hältst Dir jede Creatur vom Leibe, die einem Menschen ähnlich sieht! Das Geschlecht der Spitzbuben ist so groß wie die Menschheit und ohne alle Widerrede der älteste Adel, den es gibt!«

»Geht's,« meinte Sloboda, »so laß die Teufelsbrut aus dem Spiele. Mitgegangen, mitgehangen!«

»Weißt Du so genau, was den Lips zum Freijäger gemacht hat und wer der Mann früher[218] gewesen ist?« fuhr Heinrich fort. »Du weißt es nicht! Nun seht, es läuft ein Gerücht von ihm um, das ihm eine hohe Abstammung andichtet. Vielleicht ist's rein erlogen, vielleicht, wer kann's sagen, klebt ein Eierschälchen Wahrheit daran. Ich kann das nicht entscheiden. Etwas aber weiß ich und deshalb fiel mir der Kerl ein. Er hat's nämlich absonderlich, ja beinahe ausschließlich auf die Reichen abgesehen, und ist flugs mit seinem Ausräumen, Anzünden und Gurgelzuschnüren bei der Hand, wenn er sichere Kunde von boshaften und niederträchtigen Bedrückungen vornehmer Herren gegen das arme Volk erhält. Nun mag ich nicht grade behaupten, daß es Lob oder Belohnung verdiene, wenn Einer Unthaten mit Unthaten bestraft, aber ich bin doch der vorsichtigen Meinung, daß es in dieser unvollkommenen Welt Fälle geben könne, in denen man sich verschmitzter Schufte zum Besten ehrlicher Leute bedienen dürfe. Das heiße ich das Laster ein klein wenig wieder zu Ehren bringen, und den argen Schälken thut man stillschweigend sogar einen Himmelsdienst, da man sie Gutes zu stiften nöthigt, ohne daß sie's merken.«[219]

»In Deinem Christenthume, Bruder, kann ich mich nicht ganz zurecht finden,« sagte Sloboda. »Mein einfaches, stilles Leben ließ mich so künstliche Gedanken nie denken, viel weniger weiter verfolgen.«

»Dafür bist Du auch ein friedlicher Pflüger und ich bin ein reisender Künstler,« entgegnete pfiffig lächelnd der Maulwurffänger. »Kurz und gut, wüßt' ich den Lips aufzutreiben, ich machte, hol' mich Dieser und Jener, zu des Grafen Verderben Bekanntschaft mit ihm! Er soll sich seit einigen Wochen in die Haide geworfen haben, die freilich für eine so zahlreiche und unruhige Familie das bequemste Haus ist. Aber wo ihn dort aufsuchen, ohne zuvor selbst ein paarmal bis auf die Haut durchsucht und ausgeraubt zu werden? Indeß, nun ich mich doch einmal in diesen vielgekrümmten Maulwurfsgang begeben habe, will ich ihn auch nicht wieder verlassen, ohne das Gewürm unschädlich gemacht zu haben.«

»Vergiß nur nicht, wackerer Freund, auf Deine eigene Sicherheit dabei Acht zu geben,« sagte theilnehmend und dem Deutschen dankend die Hand drückend, Sloboda.[220]

Heinrich schnippte mit den Fingern und lachte überaus vergnügt dazu. »Ich bin schlüpfrig, wie ein Aal,« versetzte er, »dabei aber auch hungrig, wie ein Wolf. Und da meine Pfeife bei dem Geschwätz wieder einmal das Athemholen vergessen hat, so dächt' ich, wackerer Gastfreund, es wäre höchst zweckmäßig, wenn Ihr Eure Ehewirthin rieft und sie im Brodschranke nachsehen ließet, ob vielleicht ein Restchen Grütze oder ein derbes Stück Speck von gestern her übrig wäre, das wir gemeinschaftlich, nebst Brod und Butter, verzehren könnten. Ein paar Seidel gute, nicht ganz abgerahmte Milch würde ein recht erfrischendes Getränk dazu sein, wenigstens bin ich ein ausnehmend großer Liebhaber davon. Habt Ihr aber von dem Allen gerade nichts im Hause, so würde es diesen jungen hitzigen Burschen nichts schaden, wenn er sich auf einem Spatziergange in die Schenke die Füße etwas verträte und das Erforderliche nebst einer halben Kanne Schnaps und einigen Maß Bier herbeiholte. Ich bemerke hierbei, daß ich Braunbier lieber trinke, als Weißbier, theils, weil ich mehr davon genießen kann, theils auch, weil es mir besser schmeckt. Offenheit unter[221] Freunden, die sich einander dienstbereit die Hände reichen, ist eine große Tugend, und ich denke daher, Freund Ehrhold, Ihr werdet meinen bescheidenen Wünschen kein Hinderniß in den Weg legen.«

Sloboda mußte über die ernsthaft trockene Art, in welcher der Maulwurffänger seinen Speisezettel vortrug, trotz seines Kummers lachen und Ehrhold stand munter auf, um eigenhändig eine tüchtige Schüssel voll Haidegrütze mit kaltem Schweinefleisch, nebst Butter und Brod aufzutragen, Clemens aber mußte, da vermuthlich der Milchkeller des Wenden für den gesunden Appetit des diensteifrigen Maulwurffängers zu klein gewesen wäre, in die Schenke wandern, um die gewünschten Quantitäten Schnaps und Bier herbeizuschaffen.

Heinrich ließ sich die aufgetragenen Speisen trefflich munden und unterhielt dabei fortwährend seine Freunde mit allerhand wunderlichen Geschichten, die ihm alle selbst begegnet sein sollten. Darüber ging die Sonne unter und ein schwerer, feuchter Nebel begann Dorf, Hügel und Feld in schmutziges Grau zu hüllen. Dies konnte jedoch unsern Freund nicht abhalten,[222] nach beendigter Mahlzeit unverweilt aufzubrechen, so angelegentlich ihn auch Ehrhold und Sloboda baten, die Nacht bei ihnen zu bleiben.

»Wenn ich nur nicht solche Redensarten hören sollte!« erwiederte Heinrich darauf. »Ihr wißt kaum, was Ihr bittet, und hörte ich darauf, so könnten wir allesammt hinterher ein großes Unglück zu beklagen haben. Laßt mich nur machen, sag' ich! Ich kenne die Wege genau und finde sie in finsterer Nacht so gut wie beim hellsten Sonnenschein. Darum Gott befohlen und ein baldiges frohes Wiedersehen!«

Von den besten Wünschen der Wenden begleitet, verließ Heinrich das Dorf, wendete sich dann südöstlich, ließ die Teiche, die schützend von zwei Seiten den Ort umgaben, rechts liegen und wanderte in gemessenen Schritten, seinen langen Stecken fleißig brauchend und sich gleichsam mittelst desselben wiegend und weifend vorwärts schiebend, einer Waldzunge zu, welche die zur Linken seitwärts laufende Haide hier in's bebaute Land vorgeschoben hatte.

Es nebelte so stark, daß der Maulwurffänger kaum einige Schritte weit sehen konnte, sein Auge war aber durch immerwährende Übung[223] in jeder Tages- und Jahreszeit und bei allen möglichen Witterungsveränderungen so sehr an dies feuchte Nebelgrau gewöhnt, daß er stets genau wußte, wo er sich befand. Selbst im dichtesten Kieferwalde blieb ihm diese Sicherheit treu. Nach seiner Gewohnheit schlug er sich Feuer an, um für die lange Weile eine Pfeife zu rauchen, und schlüpfte bald links, bald rechts um die röthlich-gelben Stämme. Die Luft war völlig still. Man hörte das Geriesel der dürren Nadeln, die in der feuchten Luft zu Boden fielen, und die behutsamen Tritte der Füchse, die nach ihren Bauen schlüpften. Über den Wald hin zogen bisweilen einige Krähen, deren unmelodisches Geschrei in der dicken Luft dumpf verhallte.

Eine gute halbe Stunde mochte der Maulwurffänger tüchtig ausgeschritten sein, als die Waldung lichter wurde und einzelne helle, mit dunstigen Ringen umgebene Puncte die Nähe eines benachbarten Ortes ankündigten. Ein des Weges minder kundiger Wanderer würde auf diese freundlich lockenden Zeichen zugeschritten sein, Heinrich aber wendete sich, nachdem er den Wald verlassen hatte, zur Rechten und[224] schlüpfte hart an den letzten Bäumen hin, bis die Lichter weit zur Linken dämmerten. Nun senkte sich der Boden, die scharfe Waldzunge fiel in ein Thal oder eine Niederung ab und verlor sich in wolkigem Dunst. Behend lief Heinrich die schlüpfrige Lehne hinunter, übersprang einen Bach und gelangte nun auf einen hohen Damm, hinter welchem unter rollendem Nebelgewölk ein breiter Wasserspiegel sichtbar ward. Diesen entlang schritt der Maulwurffänger, bis ein zweiter kaum fußbreiter Damm quer durch den kleinen See lief und ihn in zwei fast gleiche Hälften theilte. Obwohl kein Fußsteig über diesen schmalen und vom Niederschlag der feuchten Dünste äußerst schlüpfrigen Damm führte, wagte sich Heinrich doch darauf und erreichte nach viertelstündiger Wanderung eine freie, von anmuthigen Hügeln umschlossene Gegend. Fernes Hundegebell verrieth die Nähe bewohnter Dorfschaften oder zerstreut liegender Vorwerke. Auch dauerte es nicht gar lange, so blitzten deutlich bald in der Tiefe, bald schwebend in der Luft, erst vereinzelte Lichter, dann ganze Reihen trüber Flammen. Das Rauschen eines Wehres, das Klappern einer Mühle ward hörbar und nach[225] einiger Zeit ließen sich vor und neben einem hohen und breiten Gebäude, das von langgestreckten Nebenflügeln umgeben und von hoher Steinmauer festungsartig umschlossen war, eine Menge kleinerer Wohnungen unterscheiden. Eine heisere Seigerschelle schlug eben die neunte Stunde.

»Na da wären wir ja,« sprach der Maulwurffänger zufrieden zu sich selbst, indem er den Kopf seiner Pfeife ausklopfte und sie in die Westentasche steckte. 's ist doch eine prächtige Sache um verbotene Wege. Sie bringen einen entschlossenen Mann in kurzer Zeit eine Strecke vorwärts. »Ha, ha, ha,« fuhr er lachend fort, »im Schlosse wird noch stark geleuchtet. Sollte Gesellschaft da sein? Aber da ging's lebhafter zu, denn wo Junker Blauhut zu befehlen hat, darf sich die stille Kopfhängerei nicht blicken lassen.«

Das Gebäude, dem unser Freund den Namen eines Schlosses gab, war eigentlich blos ein geräumiges, von außen stattlich aussehendes Herrenhaus, wie es deren in den meisten größeren wendischen Dörfern gibt. Es lag fast in der Mitte des Dorfes, das sich in breiter[226] Gasse diesseits und jenseits des Edelhofes eine fruchtreiche Berglehne hinanzog und von einem starken Bache durchströmt ward. Besitzer dieses Dorfes war der reiche Graf von Boberstein, wie er sich nach seinem mitten in einem See gelegenen Stammschlosse nannte, seit Jahresfrist aber hatte er es seinem Sohne Magnus als Eigenthum überlassen, um ihn zu beschäftigen oder, weil er sich nicht mit ihm vertragen konnte, ihn möglichst fern zu halten. Magnus, von dem Volke seines blauschwarzen Hutes wegen gewöhnlich Blauhut genannt, stand im Rufe eines jähzornigen, herrschsüchtigen und ausschweifenden Mannes. Niemand achtete, Jedermann fürchtete ihn, und weil er dies wußte, suchte er den möglichsten Vortheil für sich daraus zu ziehen. Sein Vater, ein milder, vornehmer und hoch gebildeter Mann, hatte wohl nicht bedacht, daß er dem zügellosen Sohne durch Abtretung des Zeiselhofes grade eine erwünschte Gelegenheit zu Befriedigung aller seiner Lüste gab. Die meisten dem Rittergute zugehörigen Unterthanen waren nämlich entweder hart bedrückte Frohnbauern oder völlige Leibeigene, mit denen ein strenger Gebieter geradezu verfahren konnte,[227] wie es ihm beliebte. Magnus war zu genau mit den Vorrechten seines Standes vertraut, als daß er diese nicht im Übermaß hätte ausüben sollen, wenn er sich Nutzen und Vergnügen davon versprach. Er herrschte daher schon seit Monaten wie seine Urahnen zur Zeit des Faustrechtes. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er seinen leibeigenen Wenden, deren schlanke Töchter ihm ungemein gefielen. Ein herzloser, gegen den Gebieter hündisch kriechender Voigt bot ihm bereitwillig seine Hand zu jeder willkürlichen Handlung, und mit diesem feigen Schurken vereint verübte nun Magnus Dinge, die vor dem Richterstuhle der Menschheit als Verbrechen verdammt und bestraft worden wären. Nur die Macht des Herrn, die Furcht des Volkes vor dieser und die sclavische Scheu, als Kläger gegen den kleinen Tyrannen aufzutreten, schützten ihn und ließen ihn wohl gar glauben, er sei in seinem vollsten Rechte und deshalb völlig unantastbar.

Als der Maulwurffänger der hohen, düstern Mauer sich näherte, welche die umfangreiche Hoferöthe umschloß, mäßigte er seine Schritte und ging mit sich selbst zu Rathe, auf welche[228] Weise er sein Anliegen dem auffahrenden Junker am besten vortragen könne. Es fehlte unserm Freunde weder Gewandtheit noch Unverschämtheit, wenn es galt, irgend etwas, von dem er sich persönlich Vortheil versprach, mit Nachdruck durchzusetzen. Er hatte daher in Kurzem eine ganze Menge Vorwände in Bereitschaft, mit denen allen er, wenn es nothwendig sein sollte, den Grafen zu bearbeiten gedachte. Furchtlos ergriff er jetzt den schweren metallenen Widderkopf am Hofthor und schmetterte ihn mehrmals mit solcher Gewalt gegen die eiserne Platte, daß augenblicklich ein wüthendes Hundegebell im Hofe entstand und unmittelbar darauf einige schnüffelnde Köter von innen gegen die Thür sprangen.

»Vortrefflich gelungen!« murmelte Heinrich, sich vor Freuden die Hände reibend. »Der unvernünftige Lärm jagt ihnen wenigstens einen solchen Schreck ein, daß sie alles Andere darüber vergessen. Sehr wahrscheinlich sogar, daß das Gesinde ein aufgehendes Feuer muthmaßt. Das gibt Unordnung, Durcheinanderrennen und Teufelszwirn die Menge. Dabei kann Flucht oder Verstecken höchst täuschend nachgeahmt werden, denn[229] Angst lehrt eben so gut Komödie spielen, wie Noth beten. – Horch, sie kommen! Bin doch neugierig, aus welchem Tone sie mir aufspielen werden!«

Während der Maulwurffänger dieses Selbstgespräch hielt, waren mehrere Diener oder Knechte über den Hof nach dem Thorwege geschritten, einige Laternen tragend, andere mit tüchtigen Knitteln bewaffnet, um einem möglicherweise beabsichtigten Einbruche, deren in den letzten Wochen mehrere in der Nachbarschaft versucht worden waren, kräftig begegnen zu können. Der Anführer dieser Eskorte fragte, während seine Begleiter die wüthenden Hunde zu besänftigen suchten, wer so spät Einlaß begehre und was dies unverschämte Lärmen zu bedeuten habe?

»Unverschämt!« wiederholte Heinrich mit seiner den Knechten des Edelhofes wohlbekannten halb zornigen halb scherzhaften Stimme. »Ich finde es verteufelt unverschämt, einen ehrlichen guten Freund durch's Schlüsselloch zu examiniren und in solchem Hundewetter, das ihn nicht abhalten konnte, auf des Herrn Grafen Vortheil zu sehen, eine halbe Stunde lang stehen[230] zu lassen. Zum Teufel, macht auf oder ich klettere trotz Eurer Zinken da oben und Eurer dummen Kläffer drinnen wie ein Dieb über den Thorweg!«

»Gott straf' mich,« versetzte der Voigt, »es ist gewiß und wahrhaftig der Sackerments-Maulwurffänger!«

»Ich will dich schon besackermentiren,« entgegnete Heinrich, »wenn ich Dich nur erst hinter'm Tische in der Gesindestube habe!«

Inzwischen klirrten die Riegel, die Thorflügel gingen knarrend aus einander und das helle Licht der Laternen zeigte drei oder vier Knechten, in deren Mitte der Voigt mit blankem Hirschfänger stand, die abenteuerliche Gestalt des Maulwurffängers.

»Der gnädige Herr wird Dir ein schönes Gesicht schneiden, wenn er hört, daß Du den unnützen Spectakel gemacht hast,« redete ihn der Voigt an. »Wir dachten nicht anders, als es würde Jemand draußen massacrirt.«

»Seine Gnaden werden das Gesichterschneiden wohl bleiben lassen,« erwiederte Heinrich. »Mach' nur geschwind und melde mich. Ich muß den Herrn sogleich sprechen, denn ich habe[231] ihm Nachrichten von äußerster Wichtigkeit zu überbringen.«

»Du?« sagte der Voigt spöttisch. »Vermuthlich willst Du ihm ein paar gestohlene Maulwürfe für sein Eigenthum aufhängen.«

»Ich werde gleich den Versuch an Dir machen, ob Deine Kehle zäher ist, als die eines Maulwurfs,« versetzte Heinrich. »Geh', sag' ich, oder ich melde mich selbst!«

»Es geht aber nicht!« sagte der Voigt trotzig, das Thor wieder fest verriegelnd.

»Es muß und wird gehen.«

»Niemand darf zu ihm heut Abend. Nicht wahr, so lautete sein Befehl?«

Die Knechte bejahten diese Frage einstimmig, doch Heinrich beharrte hartnäckig darauf, daß er den Grafen sprechen müsse. »Grade deswegen, weil er's verboten hat, muß ich nun zu ihm,« sagte er. »Seinen Zorn nehm' ich ganz allein auf mich, Ihr Alle geht frei aus, das verspreche ich Euch, so wahr ich der beste Maulwurffänger im Lande bin!«

»Warum hast Du nicht gepfiffen, wie sonst, wenn Du des Nachts auf dem Hofe einkehren willst?« fragte der Voigt, dem unwillkommenen[232] Ankömmlinge zögernd nach dem Herrenhause vorleuchtend.

»Weil es heut Sonntag ist und ich mir die Lunge schon in der Kirche ausgesungen, ausgepfiffen und ausgeschrieen habe, und weil ich außerdem weiß, daß Ihr um die jetzige Zeit in Euer gottloses Kartenspiel so vertieft seid, daß Ihr eines ehrlichen Christen fromme Melodie, und pfiff er sie so rein und schön, wie eine Nachtigall, doch nicht hören würdet. Endlich und zuletzt aber, weil ich stets auf aller Menschen Bestes bedacht bin und für Euch dieses Beste eine rasche Motion war, die ich am sichersten durch mein Klopfen bewerkstelligen konnte. Sagt selbst, ob Euch nicht das faule Blut jetzt viel munterer durch die Adern schießt? Nun und das, denk' ich, sind Gründe genug, um dafür einen Krug englisches Bier und ein warmes Lager in der Hölle beanspruchen zu dürfen.«

»Du bist ein Schalk,« sagte verdrießlich lachend der Voigt.

»Darin irrst Du Dich,« versetzte der Maulwurffänger mit größter Gelassenheit, »ich bin vielmehr ein Mittel gegen Schälke und alle Schurkerei. Meine Kunst beweist es.«[233]

So sprechend öffnete er seinen Schnappsack und hielt ihn dem Voigte unter die Nase. »Was siehst Du, Trefflichster?« fragte er.

»Narr, todte Maulwürfe!«

»Bestrafte Schälke,« verbesserte listig lächelnd der Maulwurffänger, den Quersack wieder zuschnürend. »Nun geh' aber und richte meinen Auftrag genau und pünktlich dem Herrn Grafen aus.«

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 212-234.
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